Quelle: „kicker-sportmagazin“, 30. August 2012
kicker: Herr Meyer, Tapes müssen nunmehr die Farbe des Teils der Stutzen tragen, den sie bedecken. Nach Schiedsrichter-Ball ist kein direktes Tor mehr möglich – was ist noch neu zur neuen Saison?
Florian Meyer: Weitere Ergänzungen im Regeltext sind eher formal. In der Anwendung und Auslegung gibt es in der neuen Saison wieder gewisse Schwerpunkte, auf die wir besonderes Augenmerk richten.
kicker: Zum Beispiel?
Meyer: Das Spiel wird immer schneller. Immer komplexere Aktionen gibt es zu beurteilen. Unsportlichkeiten und Provokationen fernab des Spielgeschehens passieren öfter wie aus heiterem Himmel. Früher konnte man noch eher spüren, wenn sich etwas zusammenbraute. Neue Taktiken wie der sofortige Rückgewinn des Balles durch Pressing bergen auch neue Gefahren durch Fußvergehen mit offener Sohle oder übertriebenen Körpereinsatz. Und: Der Armeinsatz im Zweikampf bleibt ein wichtiges Thema.
kicker: Wie lauten hier die Kriterien?
Meyer: Werden die Arme in natürlicher Weise beim Hochspringen genutzt, ist dies regelgerecht. Nicht mehr akzeptabel ist, wenn der Gegenspieler weggedrückt oder am Vorbeilaufen gehindert, der Arm als Werkzeug eingesetzt wird. Dieses Verhalten führt häufig zur Gelben Karte, wenn der Arm oder die Hand das Gesicht des Gegners trifft. Verwendet ein Spieler im Zweikampf den Arm mit einer Schlag- oder Ausholbewegung – sozusagen wie eine Waffe -, so ist Rot folgerichtig.
kicker: Feldverweis plus Elfmeter gegen Torhüter oder Verteidiger, die im Strafraum foulen und so eine Torchance verhindern, halten viele für zu hart. Sie auch?
Meyer: Sofern es sich nicht um ein grobes Foul handelt, bin ich ebenfalls der Ansicht, dass Gelb und Strafstoß ausreichen, zumal die Torchance erhalten bleibt. Dies sieht die Regel aber nicht vor. Einzig: Hechtet der Torwart in torwarttypischer Manier mit den Händen zum Ball, verfehlt diesen knapp und bringt dabei den Angreifer zu Fall, besteht ein Ermessen, es neben dem fälligen Strafstoß bei Gelb zu belassen.
kicker: Wie bewerten Sie aktuell auf dem Platz das Verhalten gegenüber den Schiedsrichtern?
Meyer: Abgesehen von wenigen absolut inakzeptablen Einzelfällen grundsätzlich respektvoll. Der Umgang der Spieler untereinander ist provokanter und risikovoller geworden. Zudem wächst der Eindruck, als besitze fast jedes Spiel Endspielcharakter.
kicker: Was können Sie da tun?
Meyer: Wichtig ist beispielsweise, durch angemessene Körpersprache und den Dialog mit den Spielern zu deeskalieren und zu beruhigen, um Spieler vor eigenem Fehlverhalten zu bewahren, ein Spiel nicht überbrodeln zu lassen. Da lässt das Regelwerk auch Spielräume, um den individuellen Spielcharakter zu berücksichtigen.
kicker: Was heißt das konkret?
Meyer: Nehmen Sie ein hartes Foul im Mittelfeld, für das es eine Gelbe Karte geben kann, aber nicht zwingend muss. In einem bis dato ruhigen Spiel wird der Schiedsrichter eher auf eine Verwarnung verzichten, während diese in einem hitzigen Spiel oder in einer hektischen Spielphase genau das richtige Zeichen ist, um die Gemüter wieder zu beruhigen. Natürlich gibt es bei Vergehen, die zwingend Rot erfordern, keinen Spielraum.
kicker: Noch ein persönlicher Blick zurück zur EURO: Verfolgt Sie die Szene, in der Sie als Torrichter Ihrem Kollegen Stark nicht das elfmeterreife Foul von Sergio Ramos an Mandzukic signalisiert haben?
Meyer: Eine solche Situation arbeitet längere Zeit in einem. Wer in der letzten Minute einen entscheidenden Strafstoß verschossen hat, weiß, wie ich mich nach Ansicht der Zeitlupen gefühlt habe, als mir klar wurde, dass ich die Situation während des Spiels anders eingeschätzt habe.